Vibe-Coding: Wenn KI den Takt angibt und wir nur noch dirigieren

In der Entwickler-Szene macht ein neues Schlagwort die Runde: Vibe-CodingEs beschreibt eine fundamentale Verschiebung in der Art und Weise, wie Software entsteht. Weg vom akribischen Tippen jeder einzelnen Syntax-Zeile, hin zur bloßen Beschreibung des gewünschten Verhaltens. Der Motor dahinter? Moderne Künstliche Intelligenz. 

Was ist Vibe-Coding im Zeitalter der KI?

Vibe-Coding bedeutet, dass der Entwickler nicht mehr primär der „Schreiber“ des Codes ist, sondern der „Manager“ oder „Reviewer“. Man gibt einer KI (wie ChatGPT, Claude oder GitHub Copilot) in natürlicher Sprache vor, was man erreichen möchte – den „Vibe“ der Funktion, sozusagen.

Man sagt nicht mehr:

				
					const gallery = document.getElementById('gallery'); images.forEach((image) => {
 	const imgElement = document.createElement('img');
 	imgElement.src = image.url;
 	imgElement.loading = 'lazy'; // Lazy Loading manuell setzen 	imgElement.addEventListener('click', () => {
 		// Komplexe Lightbox-Logik hier implementieren... 
		const lightbox = document.createElement('div'); 				lightbox.classList.add('lightbox-overlay'); 
		// ... weitere 50 Zeilen Code für UI und Events 
});
 	gallery.appendChild(imgElement); 
}); 

				
			

sondern:
„Erstell mir eine Gallerie, die Bilder lazy-loaded und bei Klick in einer Lightbox öffnet.“

Die KI generiert die Lösung, man führt sie aus, schaut, ob der „Vibe“ passt (funktioniert es wie gedacht?), und iteriert weiter.

Wie es sich anfühlt: Vom Maurer zum Bauleiter

Das Gefühl beim Vibe-Coding ist berauschend. Stellen Sie sich vor, Sie waren früher ein Maurer, der mühsam jeden Ziegelstein einzeln setzen, ausrichten und verfugen musste. Jetzt sind Sie plötzlich der Bauleiter, der ein Team von schnellen Robotern kommandiert.

Sie rufen nur noch Anweisungen: „Zieh hier eine Wand hoch!“, „Das Fenster muss breiter sein!“, „Wir brauchen ein Stockwerk mehr!“. Und sofort setzt Ihre Crew (die KI) die Wünsche um.

Sie sehen das Gebäude in Echtzeit wachsen. Es ist ein rapider Prozess. Die Hürde des Errichtens des Bauwerks verschwindet fast vollständig. Man fühlt sich mächtig, weil man sich nicht mehr mit dem Mischen von Mörtel und dem Anlegen der Wasserwage (Semikolons und Syntax) aufhält, sondern rein auf der architektonischen Ebene arbeitet.

Wo der Vibe kippen kann: Das "Hochhaus auf Sand"

Doch dieses Gefühl der Leichtigkeit ist trügerisch. Um das Risiko zu verdeutlichen, bleiben wir auf der Baustelle – aber diesmal bestellen wir das Gebäude komplett bei einer KI.

Sie sagen der KI: „Bau mir einen futuristischen Wolkenkratzer mit riesiger Glasfassade, einer imposanten Lobby und es muss extrem modern wirken.“
 Die KI liefert sofort. Das Gebäude ragt in den Himmel, die Fensterfront glänzt in der Sonne und die Eingangshalle ist atemberaubend. Der „Vibe“ stimmt zu 100%. Sie machen die Bauabnahme per Drohnenflug und sind begeistert.

Was Sie aber nicht wissen (weil Sie den Bauplan/Code nicht geprüft haben):

  • Die Statik ist eine Illusion: Die tragenden Säulen bestehen nicht aus Stahlbeton, sondern aus Pappmaché mit perfekter Beton-Optik, weil die KI „Stabilität“ im Kontext von „schnell hochziehen“ als Zeitverschwendung statistisch vernachlässigt hat.
  • Keine Infrastruktur: Es wurden keine Wasserleitungen oder Stromkabel in den Wänden verlegt, da Sie im Prompt nur nach dem Aussehen der Fassade und Lobby gefragt haben. Die Wasserhähne sind nur aufgeklebt.
  • Die Falle: Es gibt keine Treppenhäuser oder Aufzüge für die oberen Etagen, weil der Fokus rein auf der Außenwirkung lag.

Beim Vibe-Coding mit KI entsteht oft Software, die an der Oberfläche perfekt funktioniert („Die Demo läuft doch!“), aber im Fundament ein Chaos aus Sicherheitslücken, fehlender Skalierbarkeit und unwartbarem Spaghetti-Code ist. Wenn dann die ersten echten Bewohner einziehen (Production-Load) oder der erste Sturm aufzieht (Edge-Case), bricht das ganze Kartenhaus zusammen. Und das Schlimmste: Niemand – auch nicht der „Bauleiter“ – weiß, wo man die fehlenden Leitungen überhaupt noch einziehen könnte, ohne alles abzureißen.

Somit gilt:

Vibe-Coding mit KI ist ein mächtiger Beschleuniger, aber es entbindet uns nicht von der Verantwortung. Wir müssen vom reinen „Vibe-Manager“ zum „Qualitätsprüfer“ werden, der sicherstellt, dass unter der glänzenden Haube auch ein solider Motor steckt.